Achtsam schreiben – 5 Übungen mit Speiseeis

von Tanja Dietrich
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Achtsam schreiben – 5 Übungen mit Speiseeis

Wenn du schreiben lernen willst, dann fahr in die Ferien.

Am besten nach Italien.

Halte Ausschau nach einer Gelateria. Das ist eine Eisdiele. Die italienische Version.

Ganz dasselbe ist es nicht.

Es liegt an der Konsistenz. Des Eises. Mehr dazu gleich.

Such dir die beste Gelateria aus.

Die beste heisst, die mit hausgemachtem Eis in möglichst vielen Sorten.

Such dir eine aus mit einer Sitzbank oder ein paar Stühlen vorne dran.

Setz dich gegenüber der Gelateria hin.

Achtsamkeits-Übung 1: Schaue

Warte ein Weilchen.

Es wird nicht lange dauern und es kommen Menschen.

Folge diesen Menschen mit deinen Augen.

Friere den Moment ein, bevor sie in die Gelateria hineingehen.

Speichere das Bild in deinem Kopf. Schau dir die Menschen auf dem Bild genau an.

Konzentriere dich auf ihr Gesicht, auf den Ausdruck.

Was siehst du?

Was ich in den Gesichtern von Menschen kurz vor dem Eintreten in die Gelateria gesehen habe:

  • Vorfreude: Die Augen sind etwas geweitet, der Blick flackert ein bisschen, leichte Anspannung im Gesicht – ob die Lieblingssorte wohl im Angebot ist?
  • Erschöpfung: Die Mundwinkel zeigen nach unten, die Augenlider sind halb geschlossen, es ist heiss, die Gedanken sind noch nicht beim Eis angekommen, der Mensch ist ganz bei sich und seiner Kraftlosigkeit.
  • Entnervung: Die Lippen sind zu einem Strich verkniffen, oben an der Nase ist auf der Stirn eine kleine senkrechte Falte, die Augen sind Schlitze. Es ist zu heiss, die Person schwitzt, die Kinder quengeln, der Mensch ist ganz bei seiner Anspannung.
  • Gleichmut, Gleichgültigkeit: Die Gesichtszüge sind entspannt, der Blick schweift offen hin und her. Die Person geht offenbar aus Gewohnheit, ohne ein drängendes Bedürfnis, ein Eis essen.

Der Mensch ist jetzt drinnen in der Gelateria. Ausserhalb deines Blickfeldes.

Jetzt wartest du.

Während du wartest, studierst du das eingefrorene Bild in deinem Kopf. Schau dir jedes Detail genau an.

Aber verpass den Moment nicht.

Den Moment, in dem dieser Mensch wieder aus der Gelateria herauskommt –

mit einem Eis in der Hand.

Setzt er sich hin? Dann lass deinen Blick auf diese Person nieder.

Egal, ob es ein kleines Mädchen ist, ein junger Vater, eine Geschäftsfrau, ein alter Mann.

Der Mensch setzt sich vor den Laden. Das Eis in der Hand. Und du schaust, was jetzt passiert.

Du frierst diesmal das Bild nicht ein, du schaust was geschieht.

Schaue.

«Warum soll ich schauen, wenn ich schreiben will?»

Wenn du schreiben lernen willst, musst du schauen lernen.

Zum Üben betrachtest du eine Szene, die sich vor deinen Augen abspielt.

Später betrachtest du ein inneres Bild, deinen inneren Film, deine innere Szene.

Und du schreibst, was du siehst, fühlst, schmeckst und riechst.

Wie ich darauf komme? Ich habe es gelernt, im Zeichenunterricht.

Zeichne eine Birne und schau dauernd aufs Blatt, deine Augen kleben an deinem Stift, du siehst wie die Spitze übers Blatt kratzt. Deine Birne wird mit der Birne, die du abzeichnest, nicht viel gemeinsam haben.

Zeichne eine Birne und schau die Birne an, nicht den Stift, nicht das Blatt. Betrachte die Oberfläche der Birne, das Muster, die Übergänge der Farben, die Kontur. Führe den Stift übers Blatt, aber schaue nicht dauernd darauf. Konzentriere dich auf die Birne, die du abzeichnest, nicht auf deine Hand, nicht auf den Stift, nicht auf den Strich.

So kommt die Birne auf dein Blatt. Und sie sieht aus wie die Birne vor dir auf dem Tisch.

Ich hatte in der Schule eine Zeichenlehrerin. Ich mochte sie kein bisschen, das ist freundlich ausgedrückt. Ich habe bei ihr nichts fürs Zeichnen gelernt. Und ich zeichnete gerne, ich war gewillt – zumindest bis zu diesem Zeitpunkt:

Sie zwang uns, den Banknachbarn abzuzeichnen, ohne auch nur einmal aufs Blatt zu schauen.

Ich habe es gehasst.

Daher habe ich bei ihr zwar nicht zeichnen gelernt.

Aber etwas habe ich gelernt: zu schauen. Und das hilft mir beim Schreiben.

Achtsamkeits-Übung 2: Erkenne das Gefühl

Also gut.

Hier sitzt dieser Mensch vor der Gelateria. Mit dem Eis in der Hand.

Schau jetzt ganz genau, was passiert.

Hast du schon mal in Italien Eis gegessen? Dann weisst du, dass du in Italien immer ein «Cono», eine Eistüte, oder wie es in der Schweiz so schön heisst, ein «Cornet», nehmen sollest. Keine «Coppa», also keinen Eisbecher.

Denn das italienische Eis ist sehr cremig. Es ist samtig weich. Es ist unmöglich, daraus Kugeln zu formen.

Der Gelateria-Verkäufer streicht es mit einer Art Spachtel auf die Eistüte, also aufs Cornet.

achtsam schreiben

Der volle Genuss entfaltet sich bei italienischem Eis nur, wenn du mit der Zunge drüberfährst. Nicht aber, wenn du es mit dem Löffel isst.

Deshalb sollst du italienisches Eis immer schlecken.

Das tut der Mensch vor der Gelateria jetzt.

Er muss sich etwas konzentrieren, denn italienisches Eis schmilzt schnell. Er muss ohne Pause schlecken. Sonst läuft das Eis über den Rand der Eistüte, tropft über die Hand, von der Hand auf die Hose.

Der Mensch schleckt also stetig und du schaust zu.

Die Zunge trägt eine kühle süsse Schicht von dem Eis ab. Der Mund schliesst sich. Das Eis schmilzt und breitet sich im Mund aus.

Das ist dein Moment: schau genau hin: Schau dir bei diesem Vorgang den Gesichtsausdruck an.

Vergleiche ihn mit dem Gesichtsausdruck auf deinem eingefrorenen Bild. Mit dem Ausdruck, den dieser Mensch hatte, bevor er in die Gelateria hineingegangen ist.

Vergleiche was du jetzt siehst mit der Vorfreude, der Erschöpfung, der Entnervung, dem Gleichmut.

Was siehst du?

Egal mit welchem Ausdruck der Mensch in die Gelateria hineingegangen ist, jetzt siehst du bei allen dasselbe.

Du siehst nicht einfach einen Menschen, der geniesst.

Du siehst einen Menschen, der ist selig, andächtig, feierlich.

Schau du.

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Siehst du das Gefühl?

«Warum soll ich Gefühle erkennen, wenn ich schreiben will?»

Wenn du möchtest, dass du mit deiner Schreibe einen bleibenden Eindruck hinterlässt, dann müssen deine Leser beim Lesen etwas fühlen.

Übe dich darin, Gefühle zu erkennen, dann schreibst du eine Szene ganz anders, als wenn du sie nur von aussen beschreibst.

Was fühlt der Mann, der in die Gelateria hineingeht? Fühlt er sich in die heissen Sommer seiner Kindheit zurückversetzt? Denkt er an sein Kind, mit dem er diese Eisdiele jeden Samstag besucht hat und das letztes Jahr gestorben ist?

Wenn du das Gefühl erkennst, wird deine Beschreibung im ersten und im zweiten Fall völlig unterschiedlich ausfallen.

Achtsamkeits-Übung 3: Fühle das Gefühl

Du hast das Gefühl gesehen:

Der Mensch schleckt selig, andächtig, feierlich.

Jetzt schliesse die Augen und fühle das Gefühl.

Ohne dass du selbst ein Eis isst.

Spüre, wie deine Zunge über das cremig weiche Eis fährt, fühle wie sich die kühle Süsse in deinem Mund ausbreitet. Was empfindest du, wenn du schluckst? Wie fühlt sich dein Gaumen an, dein Rachen?

Fühle das Gefühl, das du gesehen hast.

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«Warum soll ich die Gefühle anderer fühlen, wenn ich schreiben will?»

Hast du schon einmal ein Buch gelesen, dass dich überhaupt nicht berührt hat?

Das kann daran liegen, dass der Autor nicht dabei war, bei dem worüber er schreibt,

Er war mit seinen Gedanken und Gefühlen woanders, er war nicht anwesend, er fühlte nichts. Deshalb kann er auch nicht schreiben, was die Menschen in der Geschichte fühlen und schlussendlich fühlst du nichts, wenn du den Text liest.

Wie schreibst du über Gefühle? Indem du deine eigenen Gefühle abrufst, dazu musst du aber erst das Gefühl erkennen.

Achtsamkeits-Übung 4: Fass das Gefühl in Worte

Jetzt fühlst du das Gefühl.

Dann fass es ihn Worte.

Schreib nicht einfach: «Das Eis fühlte sich kalt an». Sondern schreibe: «Das Eis war so kalt, dass mein Gaumen taub wurde und ein eisiger Stich durch meine Stirn fuhr».

Das Eis ist nicht einfach «weich und cremig», sondern «so weich und cremig, dass es sich nicht zu Kugeln formen lässt».

So cremig, dass das Eis bereits zäh über den Rand der Eistüte rinnt, als dir der Eisverkäufer die Eistüte über die Theke reicht, so, dass du fürchtest, dass es auf deine Hose tropft und du sofort danach greifst und zu schlecken beginnst, noch während du das Geld mit der anderen Hand über die Theke reichst.

«Warum soll ich Gefühle aufschreiben, wenn ich schreiben will?»

Du willst Bloggen. Als Blogger brauchst du Anhänger, die deine Texte lesen.

Bei einer Gebrauchsanweisung sind nüchterne Beschreibungen o.k. Deine Anhänger erinnern sich aber selten sehr lang an deine Fakten. Das Gefühl, das sie beim Lesen deines Textes haben, wird ihnen aber im Gedächtnis bleiben.

Und wenn sie das nächste Mal von dir hören, wird dieses Gefühl in ihnen aufwallen.

Achtsamkeits-Übung 5: Schreibe blind

Du hast das Gefühl erkannt, gefühlt und du hast es in Worte gefasst.

Tu das viele Male.

Es kommt der Moment, da brauchst du die Gelateria nicht mehr.

Wenn der Moment gekommen ist, dann schreibe blind.

Ich habe nicht aufs Blatt geguckt, als ich meine Banknachbarin abzeichnen musste, meine Augen waren auf sie gerichtet.

Genauso schreibst du von jetzt an blind. Du schaust in dich hinein und du schreibst, ohne aufs Blatt, den Bildschirm zu schauen, du schaust nur in dein Inneres.

Du fasst dein Gefühl in Worte.

Wenn du es schaffst, deine Worte beim Beschreiben der Hingabe so zu wählen, dass sie die Hingabe auslösen, die du gesehen, gefühlt und beschrieben hast, dann hast du den Achtsamkeitstest bestanden.

Wenn du es schaffst, so zu schreiben, dass deine Texte bei deinen Lesern dieselbe Hingabe auslösen, wie italienisches Speiseeis, dann bist du auf dem Blogger-Olymp angekommen.

Dann fahr wieder nach Italien. Und gönn dir ein Eis.

Fazit

Die Idee zu diesem Text ist mir in Italien gekommen.

Ich sass gegenüber einer Gelateria – in einer Bar. Und es war heiss.

Zu heiss, um irgendetwas anderes zu tun, als in einer Bar zu sitzen. Ich hatte also viel Zeit.

Da habe ich sie gesehen, diese konzentriert feierlichen Gesichter.

Es gib diesen Gesichtsausdruck nur dort, in dieser Situation. Sonst findest du ihn nirgends.

Also nun fahre auch du nach Italien.

Mach nicht die Abkürzung und geh in die Eisdiele. Das funktioniert nicht. Wegen der Konsistenz.

Diese Achtsamkeitsübungen fürs Schreiben funktionieren nicht mit Eis, dass sich zu Kugeln formen lässt.

Und ich vergass es fast: Diese Achtsamkeitsübungen fürs Schreiben funktionieren mit Touristen nur schlecht.

Am besten hältst du dich an Italiener. Sie sind Profis im lustvollen Eis essen.

Sie üben es schon als Baby. Und perfektionieren es, bis sie 90-jährige Omas sind.

Sie essen das Eis nicht, sie geniessen es. Es ist ein Akt der Hingabe.

Und wenn du genau hinschaust, kannst du das sehen.


Möchtest du noch genauer wissen, wie du deinen Schreibstil verbessern kannst? In meinem Blogartikel erfährst du, weshalb ausrotten manchmal eine gute Sache ist.


Tanja Dietrich
Tanja Dietrich
Tanja Dietrich unterstützt Selbständige, Organisationen und Kleinunternehmer dabei, online Kunden zu finden. In ihren Blogartikeln bekommst du konkrete Tipps und erfährst, wie du es schaffst mit Content-, E-Mail- und Facebook-Marketing online sichtbar zu werden.

1 Kommentar

Susanne
Susanne
So unterschiedlich können Ferien erlebt werden🎶💕

Was denkst du?

Tanja Dietrich

Tanja Dietrich

Ich bin Tanja, Online-Coach für Sichtbarkeit im Internet. In diesem Blog findest du jede Menge Tipps für deine Internetpräsenz.
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